ᐅ Volkszählungsurteil: Definition, Begriff und Erklärung im JuraForum.de (2024)

Inhaltsverzeichnis

  • Volkszählungsurteil und seine Vorgeschichte
  • Inhalt des BVerfG-Urteils – Zusammenfassung
  • Auswirkungen des Volkszählungsurteils
  • Was bedeutet informationelle Selbstbestimmung als Grundrecht?

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Volkszählungsurteil von 1983 (© Michael Brown – stock.adobe.com)

Als Reaktion auf Verfassungsbeschwerden gegen die Volkszählung von 1983 hat das Bundesverfassungsgericht am 15. Dezember 1983 in einem bis heute wichtigen Urteil wesentliche Grundsätze festgelegt, die den verfassungskonformen Umgang mit Daten beinhalten. Das als Volkszählungsurteil bekannte Urteil hat im Wesentlichen zur Entwicklung des informationellen Selbstbestimmungsrechts beigetragen. Die Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1983 wird als Meilenstein des Datenschutzes angesehen.

Volkszählungsurteil und seine Vorgeschichte

Bei dem sogenannten Volkszählungsurteil handelt es sich um eine Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Dezember 1983. Das Urteil gilt als wichtige Entscheidung für den Datenschutz, da aus ihm das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung hervorging.

Anlass für das Urteil war eine Volkszählung in Deutschland, die zunächst für die Zeit von April bis Mai 1983 geplant war, dann aber aufgrund der BGH-Entscheidung erst 1987 durchgeführt wurde, und dann auch nur in abgewandelter Form.

Beabsichtigt war ursprünglich, dass Beamte oder Beauftragte der öffentlichen Verwaltung im Frühjahr 1983 von Tür zu Tür gehen, um eine vollständige Kopfzählung sowie weitere Angaben zu erheben. Die geplante Volkszählung sollte dabei entsprechend der Bestimmungen des Volkszählungsgesetzes durchgeführt werden. Entgegen des Wortlauts geht es bei einer Volkszählung nicht allein um die bloße Zählung der Bevölkerung. Die gesammelten Daten sind weitaus umfangreicher und umfassen Informationen, wie:

  • Angaben zu Familie und Lebenspartnerschaft
  • Wohnsituation
  • Schule und Studium
  • Erwerbstätigkeit
  • Beruf und Ausbildung
  • Kinderbetreuung

Gegen eben dieses Gesetz wurden jedoch gleich mehrere Verfassungsbeschwerden erhoben. Am 12. April 1983 kam es dann zur ersten mündlichen Verhandlung am Bundesverfassungsgericht. Schon am nächsten Tag erging ein Erlass, mit dem die Durchführung des Volkszählungsgesetzes so lang auszusetzen sei, bis es zu einer Entscheidung über die Verfassungsbeschwerden kommt. Zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts kam es dann am 15. Dezember 1983. In diesem wurde festgestellt, dass das Volkszählungsgesetz zahlreiche Vorschriften umfasst, die in erheblicher Weise und zudem ohne Rechtfertigung einen Eingriff in die Grundrechte des Einzelnen darstellen. Diese Vorschriften wurden für nichtig erklärt. Zudem erklärte das Bundesverfassungsgericht das gesamte Volkszählungsgesetz für verfassungswidrig, da eine Verletzung der informationellen Selbstbestimmung gegeben sei.

Inhalt des BVerfG-Urteils – Zusammenfassung

Das Bundesverfassungsgericht hat das informationelle Selbstbestimmungsrecht als ein durch das Grundgesetz geschütztes Gut anerkannt. Betroffene sähen sich einer unbeherrschten Datensammlung unter den Bedingungen moderner Informationstechnik ausgesetzt, was zu einer Gefährdung der freiheitlichen Grundordnung führt.

Wenn es nicht möglich sei zu wissen oder zu beeinflussen, welche Informationen über einen selbst gespeichert, verwendet oder weitergegeben würden, würde der Einzelne sein Verhalten entsprechend anpassen, um nicht durch abweichende Verhaltensweisen aufzufallen. Das würde jedoch zu einer Beeinträchtigung der individuellen Entfaltungschancen des Einzelnen führen und darüber hinaus auch das Gemeinwohl beeinträchtigen. Denn ein freiheitlich demokratisches Gemeinwesen zeichnet sich auch durch die Selbstbestimmung seiner Bürger aus.

Um eine freie Entfaltung der Persönlichkeit zu gewährleisten, muss der Einzelne gegen die unbegrenzte Verwendung, Speicherung, Erhebung und Weitergabe seiner personenbezogenen Daten geschützt werden. Umfasst wird dieser Schutz von dem Grundrecht Art. 2 Absatz i.V.m. mit Art. 1 GG. Dem Einzelnen wird damit das Recht zugesprochen, selbst zu bestimmen, in welchem Rahmen seine personenbezogenen Daten preisgegeben und verwendet werden.

JuraForum.de-Tipp: Eine Einschränkung der informationellen Selbstbestimmung kann nur auf gesetzlicher Grundlage erfolgen. Sollen personenbezogene Daten verwendet werden, bedarf dies einer besonderen Rechtfertigung.

Zusammenfassend hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Volkszählungsurteil 5 Leitsätze aufgestellt, die sich mit dem Schutz beim Umgang mit Daten befassen:

  • Schutz gegen unbegrenzten Datenumgang

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Art. 2 Absatz 1 GG i.V.m. Art. 1 Absatz 1 GG umfasst den Schutz des Einzelnen gegen die unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe seiner persönlichen Daten.

  • Einschränkung nur durch Gesetze

Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung kann nur durch überwiegendes Allgemeininteresse eingeschränkt werden. Hierfür bedarf es einer gesetzlichen Grundlage. Aus dem jeweiligen Gesetz muss sich vor allem klar ergeben, welche Daten für welchen Zweck verarbeitet werden sollen.

  • Umgang mit anonymisierten Daten

Neben personenbezogen Daten, die in individualisierter, nicht anonymer Form erhoben und verarbeitet werden, gibt es auch Daten, die für statistische Zwecke bestimmt sind. Sollen Daten für statistische Zwecke erhoben werden, kann eine enge und konkrete Zweckbindung der Daten nicht verlangt werden.

  • Menschenwürde und Datenschutz bei Verfahren

Das Erhebungsprogramm des Volkszählungsgesetzes 1983 muss um verfahrensrechtliche Vorkehrungen ergänzt werden, um das Recht auf informationelle Selbstbestimmung zu sichern.

  • Schutz vor Datenübermittlung

Die Übermittlungsregelungen des § 9 Absatz 1 bis 3 Volkszählungsgesetz stellen einen Verstoß gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht dar. Hingegen liegt bei der Weitergabe zu wissenschaftlichen Zwecken eine Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz vor.

Auswirkungen des Volkszählungsurteils

Durch das sogenannte Volkszählungsurteil kam es vor allem zu Auswirkungen auf das Bundesdatenschutzgesetz sowie die Datenschutzgesetze der Länder. Unter Berücksichtigung der Vorgaben des Volkszählungsurteils wurden zudem verschiedenste Gesetze über Einzelstatistiken sowie das Gesetz über die Statistik für Bundeszwecke inklusive der entsprechenden Landesgesetze gestaltet.

Dadurch, dass das Recht auf informationelle Selbstbestimmung nur aufgrund eines Gesetzes eingeschränkt werden darf, kam es zur Novellierung des Bundesdatenschutzgesetzes, zudem wurde das Mikrozensusgesetz und das Bundesstatistikgesetz verabschiedet. Darauf aufbauend gilt heute im Datenschutzrecht der Grundsatz des Verbots mit Erlaubnisvorbehalt.

Was bedeutet informationelle Selbstbestimmung als Grundrecht?

Als Kernaussage des Grundrechts lässt sich festhalten, dass jedem grundsätzlich das Recht zusteht, selbst über die Verwendung und Preisgabe seiner personenbezogenen Daten zu entscheiden. Im GG (Grundgesetz) ist das Recht auf informationelle Selbstbestimmung nicht ausdrücklich geregelt. Es wird jedoch aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht nach Art. 2 Absatz 1 GG i.V.m. Art. 1 Absatz 1 GG hergeleitet und wird als spezielle Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts verstanden.

Volkszählungsurteil & DSGVO

Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gilt als Datenschutz-Grundrecht. Mit zunehmender Datenverarbeitung im Internet durch Unternehmen wie auch öffentliche Stellen gewinnt die informationelle Selbstbestimmung einmal mehr an Bedeutung und schützt die eigenen personenbezogenen Daten.

Seit Mai 2018 dient als gesetzliche Grundlage für den Schutz dieser Daten die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO). Einige der Regelungen der DSGVO gehen noch über die Bestimmungen des Bundesdatenschutzgesetzes hinaus. So geht es in Kapitel 3 DSGVO um die Rechte der betroffenen Person und kann daher fortan als wichtige Grundlage für die Umsetzung der informationellen Selbstbestimmung gesehen werden.


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